Das IT-Freelancer-Geschäft gewinnt an Härte
IT-Freiberufler kämpfen mit zunehmender Intensität um Aufträge.Simon Gracia Lacaba | shutterstock.com
Die große Unsicherheit angesichts der wirtschaftlichen Stagnation ist auch im IT-Freiberuflermarkt angekommen. Das zeigt eine aktuelle Studie der Marktforscher von Lünendonk. Demnach sehen sich zwei Drittel der insgesamt 27 befragten Anbieter für die Vermittlung von IT-Freiberuflern mit einer schwierigen Auftragslage konfrontiert. Hohe Material- und Energiekosten sowie Lieferkettenprobleme setzen den Auftraggebern derart zu, dass die Auswirkungen auch unmittelbar zu spüren sind – bei der Nachfrage nach IT-Freelancern.
Viele IT-Freiberufler sind pessimistisch
Etwa ein Viertel der IT-Anbieter blickt laut Lünendonk optimistisch in die Zukunft und sieht sich gut aufgestellt, da neue Technologien wie KI und gesetzliche Vorgaben wie NIS2 und DORA lukrative Projektoptionen bieten. Dennoch ist im ansonsten eher erfolgsverwöhnten Marktsegment der freiberuflichen IT-Experten die gedämpfte Auftragslage zu spüren. Benjamin Richter, Geschäftsführer der IT-Boutique Cyber Complete, bringt die Stimmung am Markt auf den Punkt: „Man hat das Gefühl, jeder will Verantwortung, aber niemand will entscheiden.“
Das bestätigt auch das jüngste Stimmungsbarometer von Freelancermap:
Sieben Prozent der IT-Freiberufler beurteilen ihre wirtschaftliche Situation im Vergleich zum Vorjahr als weniger positiv.
16 Prozent sind sogar der Meinung, ihre Lage sei aktuell „schlecht“ bis „sehr schlecht“ – das sind doppelt so viele wie im Geschäftsjahr 2023.
Im Gegensatz zu den Anbietern blickt also ein Viertel der IT-Freiberufler pessimistisch in die Zukunft. Und dass, obwohl sich aufgrund des dramatischen Mangels an erfahrenen und spezialisierten Fachkräften im IT-Bereich der Stundensatz innerhalb der letzten zwölf Monate auf durchschnittlich 102 Euro hochgeschaukelt hat. Viele externe IT-Spezialisten kommen mittlerweile auf ein Jahresbruttoeinkommen von mehr als 100.000 Euro.
Wer jetzt glaubt, solche Honorarsätze seien angesichts der wirtschaftlichen Flaute nur noch schwer durchzusetzen, irrt. Marcel Bodenbenner, Director für das Freiberufler-Geschäft bei Hays erklärt: „Wir spüren zwar insgesamt eine stärkere Zurückhaltung bei den Auftraggebern, die Preise bleiben aber in allen Disziplinen stabil.“
“Man merkt, dass es viele Trittbrettfahrer gibt”
Die zögerliche Haltung auf Seiten der Kunden äußert sich laut Brancheninsidern aktuell vor allem in verlängerten Beauftragungszeiträumen. „Wir haben es derzeit mit Vertriebszyklen von mindestens sechs bis 15 Monaten zu tun. Dabei ist der Fachbereich häufig überzeugt, dass etwas getan werden muss. Aber vom Top-Management kommt die Ansage, dass nur noch unternehmenskritische Projekte gemacht werden sollen“, berichtet Richter von diversen Kundengesprächen.
Die von ihm geführte IT-Boutique hat sich in den letzten sechs Jahren einen Namen für Informationssicherheit in Kombination mit Cybersecurity-Updates gemacht. Doch in letzter Zeit spürt der Experte vor allem bei Security-Trendthemen wie DORA und NIS2 einen zunehmend härteren Wettbewerb: „Man merkt, dass es gerade viele Trittbrettfahrer gibt. Das erinnert mich ein bisschen an die Situation, wie wir sie bei der DSGVO-Einführung hatten. Externe Berater, die vorher Wirtschaftsprüfer waren, haben plötzlich ihre Dienste ohne jegliche Projekterfahrung in diesen Bereichen angeboten.“
Dabei gehört zu diesem speziellen PDCA-Zyklus nach Richters Erfahrung sehr viel mehr. Für gute Umsetzungserfolge brauche man zwingend jahrelang erprobtes Wissen im Umfeld von Cybersecurity, am besten gleich in Kombination mit Risikomanagement-Kenntnissen. Er fügt hinzu: „Zusätzlich sollte man Prozessmanagement beherrschen, wirtschaftlich denken, viele Abhängigkeiten im Blick behalten können und kommunikativ sein. Mit anderen Worten: Der externe Spezialist muss als eine Art generalistischer Mediator zwischen den Technologie-Bereichen und dem Management beraten.“
“Wer zuerst kommt, mahlt zuerst”
Diesen Bedarf sieht auch Christian Weilbach, der sich erst vor Kurzem als IT-Freiberufler selbständig gemacht hat und sich als Vermittler zwischen Technologie und Management versteht: „Technische und normative Anforderungen auf dem Papier müssen vom Management verstanden werden, damit es grünes Licht gibt.“
Diese Themen kennt Weilbach aus seiner Zeit als Festangestellter im ISM-Management bestens. Seine Differenzierung zu anderen IT-Freiberuflern in diesem Umfeld sieht er darin, Betroffene darin zu schulen, wie sie finanzielle und IT-Assets schützen können. Dabei ist er nach eigenen Angaben nicht monetär getrieben, sondern möchte in erster Linie einen guten Job machen. „Im Gegensatz zu meiner Zeit als Festangestellter kann ich meine Erfahrungen heute mehreren Unternehmen anbieten. Gleichzeitig habe ich immer die Möglichkeit, unternehmerisch frei zu entscheiden,“ begründet er seinen Schritt in die Freelancer-Welt.
Aber auch Weilbach spürt in der Akquise die zunehmende Konkurrenz: „Mich hat überrascht, wie groß der Wettbewerb ist. Bei der Projektvergabe heißt es daher immer häufiger: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“
Um sich von „Trittbrettfahrern“ abzuheben, hat Weilbach seine Karriere von Anfang an auf international anerkannte ISM-Abschlüsse ausgerichtet: „Neben einem Masterstudium habe ich noch diverse Zertifizierungen wie CISM, ISACA oder CISSP draufgepackt.“
“Unternehmen locken mit attraktiven Gehältern”
Auch spezialisierten Personaldienstleistern für IT-Projekte wie Etengo fällt auf, dass viele angeschlossene IT-Freiberufler fleißig ihren Wissensvorsprung durch Weiterqualifizierung vergrößern: „Wir nehmen wahr, dass freiberufliche IT-Experten in der aktuellen Situation, die Zeit zwischen Projekteinsätzen gezielt nutzen, um ihr Know-how und ihre Skills zu erweitern“, so Vorstand Alexander Raschke.
Das muss man sich in der Selbstständigkeit aber erst einmal dauerhaft leisten können. Denn Betriebskosten laufen weiter, gleichzeitig steht die finanzielle Sicherheit auf wackeligen Füßen. Vor diesem Hintergrund liebäugeln laut Alexander Hendorf, strategischer Berater für künstliche Intelligenz, nicht wenige IT-Freiberufler mit einer Festanstellung: „Unternehmen locken mit attraktiven Gehältern und bieten Arbeitsplatzsicherheit. Gerade wenn es um die Familienplanung geht, brauchen viele einfach finanzielle Sicherheit“, so der Consultant.
Er sieht jedoch auch andere Gründe für diesen Trend: „Oft steht ein hoher Vertriebsaufwand kleinen Tickets und langweiligen Projekten in der Freiberuflichkeit gegenüber. Wer kann es da selbst den überzeugtesten IT-Freelancern verübeln, in ein festes Arbeitsverhältnis mit gutem Einkommen und Sozialleistungen wechseln zu wollen?“
Für die Personalvermittler bedeutet das, vertragsformübergreifende Angebote zur Verfügung zu stellen. „Das Konzept der Arbeitnehmerüberlassung hat sich in den letzten Jahren von einem Randphänomen hin zu einen Standardinstrument im Personaleinsatz entwickelt hat. Auch fachlich hochqualifizierte IT-Experten haben aufgrund guter Konditionen keine Scheu mehr“, meint Bodenbenner. Vor dem Hintergrund einer Gemengelage aus hohem Kostendruck, Ressourcennot und starkem Wettbewerb halten mehr und mehr Auftraggeber auch international Ausschau nach IT-Experten. Der Personaldienstleister Hays hat passend dazu in seinem globalen IT-Freelancer-Report „Workforce of the Future“ herausgefunden, welche Länder über IT-Talent-Netzwerke mit vergleichbarem Qualitätsniveau und gutem Preis-Leistungs-Verhältnis vorhalten. Demnach bieten Länder wie Rumänien, Indien, Malaysia, Ungarn oder Mexiko in diesem Bereich gute Alternativen. (fm)
Hays
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