IIoT braucht kleine Schritte
Die Konvergenz von IT und OT ist noch immer ein Thema. Für viele ist es ein unerreichbares Marketing-Buzzword.Mdisk – shutterstock.com
Was machen eigentlich die alten Säue, während eine neue durchs Dorf getrieben wird? Nun, zunächst bekommen sie weniger Aufmerksamkeit, was an sich noch kein Problem ist. Das Potenzial einer Technologie zeigt sich schließlich vor allem nach dem Hype, langfristig und – um es mit dem Gartner Hype Cycle auszudrücken – auf dem “Plateau der Produktivität”.
Nun ist nicht jeder Hype gleich, manche erreichen dieses Plateau nicht mal, während andere sich einfach nur Zeit für den Aufstieg lassen, dafür aber umso beständiger oben bleiben. Die Voraussetzung für eine nachhaltige Etablierung ist, auf Anwenderseite einen pragmatischen Zugang zum Thema zu finden und die notwendigen Schritte zu gehen, selbst wenn die Leuchtturmprojekte woanders stattfinden.
IIoT auf dem Plateau der Produktivität
Der Themenkomplex IIoT befindet sich mitten in dieser Phase und wird auch noch eine ganze Zeit dort verharren, wie die Experten im Rahmen des Computerwoche-Roundtables IIoT feststellen. Während für das abstrakte Thema KI schneller Investitionen getätigt werden, kommt es im IIoT- und Connectivity-Bereich jetzt darauf an, die Reihen zu schließen und sich als Unternehmen eine genaue Vorstellung von den Potenzialen und vor allem den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu verschaffen.
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Diesen Punkt identifizieren Experten wie Dorian Gast von Reply als besonders kritisch für das Gelingen eines Projektes: “A(IoT) Projekte scheitern vor allem dann, wenn im Unternehmen keine Einigkeit herrscht. Die Initiative ist schnell gesetzt, aber wenn ich über einen Accelerator mit ein paar Workshops nicht hinauskomme, dann habe ich noch nichts erreicht. Nur wenn ich die Überführung in eine ganzheitliche Strategie mit Phasenplan zur Umsetzung schaffe, kann ich mit Daten mein Geschäft transformieren.”
Ein beharrlicher Trend
Dahingehend unterscheidet sich IIoT auch nicht von anderen Themen. Der Gap zwischen Initiative und Implementierung, beziehungsweise die Orientierung am “Machbaren” sind in jedem IT-Fokusthema Binsenweisheiten. Die Besonderheit bei IIoT liegt vielmehr darin, dass die Begrifflichkeiten seit über einem Jahrzehnt in den Köpfen der Entscheider präsent sind, spätestens seit landauf, landab von der “Industrie 4.0” gesprochen wird.
Die Konvergenz von IT und OT ist noch immer ein Thema. Für viele ist es ein unerreichbares Marketing-Buzzword.metamorworks – shutterstock.com
Warum aber wirkt der Status Quo gerade hier so zementiert? Die Begriffe scheinen nach wie vor die gleichen zu sein, auch die Vision von der “IT-OT-Konvergenz” wird seit Jahren ausgegeben, ohne dass sie maßgeblich näher gerückt wäre. Der Begriff meint die Integration von Daten aus Systemen, die Informationen über die Fertigung verarbeiten (IT), mit Daten aus Systemen, die die Fertigung direkt überwachen und steuern (OT).
IT-OT-Konvergenz nur Marketing?
Für Timmi Hopf von Axians ist die IT-OT-Konvergenz sogar nur ein “nettes Marketing-Buzzword”, aber letztlich ein kaum erreichbarer Zustand. Das liege vor allem an den fundamentalen Unterschieden zwischen der IT und der Produktion und der unterschiedlichen Datenkultur. “Ich kann mich an Zeiten erinnern, da war es in der Produktion normal, keine E-Mail-Adresse zu haben. Techniker, Ingenieure, Produktonsverantwortliche, alle diese Mitarbeiter arbeiten mit einer Vielzahl analoger und digitaler Datenquellen.”
Seiner Meinung nach sind die Kulturen, aber auch die Parallelität von Programmiersprachen, Schnittstellen, Standards und Technologien ein Grund, warum beide Welten nicht einfach so mit einem Knopfdruck zu verbinden sind – vor allem, wenn nicht einmal jede Maschine auf dem Shopfloor IoT-fähig ist. Die vollständige Harmonisierung dieser beiden Welten wird dadurch zur Utopie.
Braucht IIoT Visionen?
Doch ist es im IIoT-Bereich überhaupt wichtig, auf Visionen hinzuarbeiten? Oder geht es erstmal darum, ein konkretes Problem zu lösen? Vielleicht liegt in der Konstanz der Debatte, die von außen nach Stillstand aussieht, auch etwas Gutes: Alle wissen, worum es geht – es ist nur eben kompliziert und mit dem Bohren dicker Bretter verbunden. Maschine für Maschine, Projekt für Projekt, im Kleinen und im großen Ganzen, wie Jürgen Krämer von der Software AG anführt:
“IIoT hat zwei Dimensionen der Integration: Die vertikale und die horizontale. Es ist genauso wichtig, die einzelne Maschine zu sehen, wie auch den gesamten Prozess und die Vernetzung der Maschinen untereinander. Offene Standards wie OPC UA sind hier essenziell. Das Thema kommt zwar in den Unternehmen an, allerdings langsamer als gedacht. Das liegt vor allem an der Heterogenität und den vielen Brownfield-Installationen auf den Shopfloors.”
Fragen der Integration
Hier sehen die Experten die größte Chance für IIoT: Klein anfangen und vor allem realistisch bleiben sind jetzt die Tugenden, auf die es ankommt, die es vor allem aber auch durchzuhalten gilt, wie Frank Säuberlich von Teradata bemerkt: “Klein anfangen klingt in der Theorie gut, in der Praxis gibt es aber viele Hürden.”
Alleine die Frage, wem eigentlich die Daten gehören, sei gar nicht so ohne weiteres zu beantworten. Und dann gelte es zu prüfen, ob der Input an Aufwand auch den Nutzen rechtfertigt. Gerade Unternehmen mit vielen Ressourcen neigen seiner Meinung nach dazu, Pilotprojekte selbst in einer gewissen Größe aufzusetzen.
“Es spricht auch gar nichts dagegen, dass ein Autohersteller ein eigenes Data Lab initiiert und erste Gehversuche mit KI macht. Danach zeigt sich aber immer wieder das gleiche Problem: Die Überführung in den produktiven Alltag und die Operationalisierung der Analyseprojekte gelingt nicht reibungslos und ich erhalte keine verwertbaren Ergebnisse”, so Säuberlich weiter, “klar machen Datenprojekte Spaß, aber die Überführung ist alles andere als trivial.”
IIoT als Datenprojekt
IIoT-Projekte sind daher vor allem Datenprojekte, auch weil die Fragen der Konnektivität durch neue technologische Möglichkeiten und dynamischere Preismodelle der Provider in den Hintergrund gerückt sind. Unternehmen tun gut daran, sich erst auf das Thema Daten zu konzentrieren, ihren eigenen Datenbestand zu prüfen und ganz grundlegende Fragen zu stellen, bevor groß gedacht wird.
“Die ganz banale Datenaufbereitung ist doch schon eine Hürde für sich”, weiß auch Jürgen Krämer. Es gehe am Anfang erstmal darum, Sensordaten und deren Metadaten effizient abzuspeichern, zu harmonisieren und zu konsolidieren. Dazu gehören etwa einheitliche Namensgebung und die Umrechnung physikalischer Einheiten. “Das mag nach Kleinkram klingen, doch ohne eine gute Datenbasis, führen spätere Analysen wie etwa mittels KI lediglich zu einem ‘Garbage-in-Garbage-Out-Szenario'”, warnt Krämer.
In diesen Kanon stimmt auch Dominik Rüchardt von PTC ein: “Oft wird in zu großen Use Cases gedacht. Wir müssen aber in kleineren Szenarien denken, die Anzahl der User genau abschätzen, ein funktionierendes Regelwerk etablieren. Die größten Benefits sind in überschaubaren Business Units, wie zum Beispiel der Produktion, zu holen. Zuverlässigkeit und Planbarkeit sind dort einfach größer.”
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Rausgeben oder selber machen?
Die Frage nach dem “Build or Buy” ist auch (oder vielleicht besonders) in der Industrie relevant. Unternehmen bündeln das Know-How und den Datenbestand von Jahrzehnten. Das Selbstbewusstsein, die digitale Transformation mit eigenen Ressourcen zu stemmen, ist daher nachvollziehbar groß und außerdem ist das Daten- und Geheimnisschutzbedürfnis nochmal deutlich höher ausgeprägt. Trotzdem geraten auch solche Unternehmen an ihre Grenzen – teils aus kulturellen Gründen, teils aus Gründen der Implementierbarkeit, wie Jürgen Krämer bemerkt.
Nicht der perfekte Prozess ist gefragt. sondern die effiziente Nutzung vorhandener Daten.metamorworks – shutterstock.com
“Es sind schon viele Unternehmen einfach mal losgelaufen und haben später gemerkt, dass die selbstgebaute Lösung dann doch nicht sicher oder skalierbar genug war, oder zu teuer und komplex wurde. Denn es sind eben doch die Enterprise-Funktionen, die am Ende über den erfolgreichen Betrieb entscheiden”, weiß Krämer aus der Praxis. Zwar könne man mit selbstentwickelten Lösungen seine Anwendungsszenarien abdecken, doch hierzu seien erfahrene Entwickler, genügend Zeit und die entsprechenden finanziellen Mittel erforderlich. “Außerdem verzögert sich die Time-to-Market für eine neue Lösung, was für die Differenzierung im Markt und den erfolgreichen Vertrieb ungünstig ist”, gibt Krämer zu bedenken.
Richtige Selbsteinschätzung
Überhaupt scheint die richtige Selbsteinschätzung auch in naher Zukunft die wesentliche Tugend zu sein, um schrittweise die Verbesserung zu erreichen, die einem flächendeckenden IIoT-Erfolg den Weg ebnet. Kleine Schritte statt Moonshots.
Oder wie es Frank Säuberlich praktisch beschreibt: “Natürlich kann ich einen Schweißprozess minutiös mit Kameras monitoren und dann mit Bilderkennungssoftware einen perfekten Prozess realisieren. Das ist aber ein immenser Aufwand im Vergleich zur Arbeit mit vorhandenen Daten. Temperaturdaten, Schwingungsmessungen, all das ist meistens schon da und die Nutzbarmachung dieser Daten ermöglicht ohne große Investitionen eine spürbare Verbesserung.”
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