Deutsche Erinnerungen im neuen Polen: Ein Streit um historische Inschriften
In Kürze: Die Frage, ob die Erinnerung an die deutsche Vergangenheit in heutigen Polen als Anachronismus empfunden werden kann oder als wichtige Bestandteile der gemeinsamen Geschichte.
FÜR die Menschen im niederschlesischen Dorf Pławna Górna war es ein Schock, als nach der Sanierung des alten Bahnhofs-Baus wieder der deutsche Ortsname "Ober-Schmottseiffen" über dem Eingang angebracht wurde. Viele Einwohner waren sich nicht sicher, ob hier noch Polen sind, und fragten sich, warum die Erinnerung an die Zeit vor 1945 so sichtbar werden musste. Die Gemeinschaft diskutierte lange um die Frage, wie der historische Ortsname in das heutige Bild des Dorfes einpassen sollte.
In den letzten Jahren haben immer mehr Menschen aus dem Umland des ehemaligen Görlitzer Kreises nach Ober-Schmottseiffen gezogen. Das hat auch den Tourismus im Dorf gefördert, und viele Besucher kommen, um das historische Gebäude zu sehen, das nun als Gemeinschaftshaus dient. Aber für die polnische Bevölkerung ist es nicht leicht, sich mit der Erinnerung an die deutsche Vergangenheit auseinanderzusetzen. Der Architekt des Hauses, Paweł Borecki, berichtet, dass er manchmal überrascht ist, wie viele Menschen stehen bleiben und das Haus fotografiert werden. "Es gibt sogar stündlich jemand, der sich entscheidet, vor dem Gebäude zu posieren", so Borecki.
In Ober-Schmottseiffen selbst gab es aber auch Kritik an der Wiederherstellung des deutschen Ortsnamens. Einige Einwohner fragten sich, ob man hier noch Polen sind und warum die Erinnerung an die Zeit vor 1945 so sichtbar werden musste. Stanisław Jakubowski, Dorfvorsteher in dem Nachbarort Pławna Dolna, argumentierte, dass der deutsche Ortsname in Ober-Schmottseiffen nicht so sehr hervorgehoben werden sollte. "Erst als die Inschrift erneuert wurde, ließen sich viele kritische Stimmen vernehmen", so Jakubowski.
Schließlich beschloss der Gemeinderat von Pławna Górna, die deutsche Aufschrift durch eine Tafel mit dem polnischen Schriftzug "Gemeinschaftshaus des Dorfes Pławna" zu überdecken. Der historische Ortsname wurde jedoch nicht ganz entfernt. Vor dem deutschen Schriftzug hängt jetzt eine polnischsprachige Tafel, aber die Entfernung zur Fassade ist so groß, dass man auch die deutsche Inschrift sehen kann. Außerdem wählte man für den polnischen Text eine Schriftart, die an alte deutsche Texte erinnert – die Frakturschrift.
**Mehr Wissen:**
Schriftart
Die Fraktur (auch Frakturschrift genannt) ist eine Buchschriftart der Renaissancezeit. Sie wurde in Deutschland und Österreich im 16. Jahrhundert entwickelt und war bis ins 20. Jahrhundert hinein beliebt. [1]